Drabenderhöhe

Kirche, Gottesdienst am 16.09.01
Predigt von Gemeidereferent Heiko Donner anlässlich des Gottesdienstes am 16.09.01 in der Kirche Drabenderhöhe:

Bilder mitten aus dem Leben: Zwei Schwestern trauern um ihren Bruder. Plötzlich ist er gestorben, unverhofft. Lazarus ist tot.
Bilder mitten aus dem Leben: Menschen trauern um ihren Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Sohn, Tochter - Grosseltern, Enkel.
Unverhofft zu Tode gekommen, begraben unter Schuttmassen.

Es fällt mir schwer heute Abend hier zu stehen. Es fällt mir schwer, meine ganzen Gefühle in dieser Woche zu verarbeiten. Ich habe viele Gedanken im Kopf, aber ich bekomme sie nicht sortiert.
Deshalb möchte ich nicht wie gewohnt eine Predigt mit einem roten Faden halten, sondern einfach vier Gedanken mit ihnen teilen:

Angst. Ich habe Angst. Ich weis nicht, wo dass alles hinführt. Ist dieser Terroranschlag der Beginn für den dritten Weltkrieg? Werden wir Deutschen uns an einer militärischen Aktion beteiligen?
Werden wir in Deutschland auch ein Schauplatz vor Terror und Gewalt? Was wird passieren?

Solidarität. Ein Wort, was in diesen Tagen oft benutzt wird. Solidarität mit Amerika. Solidarität mit den Angehörigen der Opfer. Dies ist auch alles gut und auch wichtig. Auch ich bete für diese Menschen.
Aber was ist mit allen den anderen Opfern von Terror und Gewalt? Die Opfer des Krieges in Israel? Die Opfer des Bürgerkrieges auf dem Balkan?
Was ist mit den vielen Muslimen, die friedlich auch hier in Deutschland leben? Meine Schwester erzählte mir aus Berlin, das im Stadtteil Neuköln, der von vielen Muslimen bewohnt wird, sich keine verschleierten Frauen mehr auf der Strasse zeigen, die sonst, das Strassenbild prägen. Auch all diese Menschen verdienen unsere Solidarität.

Das Reich des Bösen. Mir wird schlecht, wenn der amerikanische Präsident sagt, das Amerika - das Reich des Guten - jetzt gegen das Reich des Bösen - den Islam - kämpft. Einem Politiker, der sich nicht gescheut hat, sich durch Vollstreckung von vier Todesurteilen sich aus den Meinungstiefs des Präsidentenwahlkampfes zu exekutieren.
Mr. Bush macht hier nichts anderes als die islamischen Extremisten. Er missbraucht Gott, um seine Rache zu legitimieren.
Vielmehr als den Islam als das Reich des Bösen zu bezeichnen, wäre und ist es an der Zeit mit dem Islam in Dialog zu treten. Wer den Islam als das Reich des Bösen bezeichnet, hat sich selbst noch nie mit dieser Religion auseinander gesetzt. Islam bedeutet wörtlich Frieden. Das ist es, was die Mehrheit der Christen und der Muslims will.
Leider wird davon nicht viel in den Medien berichtet. Vielmehr läuft zZ. die Propaganda für den Krieg: Bilder von jubelnden Muslimen; Bilder von bin Laden mit Kalaschnikow; Bilder von Selbstmordtatentätern; Bilder von Kindern und Jugendlichen, die als Gotteskämpfer ausgebildet werden. Immer und immer wieder - bis es jeder verstanden hat: Der Islam ist das Reich des Bösen. Die Verblendung hat begonnen.
Wir müssen nur nach Nordirland schauen, dort haben wir es vor unserer Haustür, was christliche Extremisten anstellen. Wir Menschen missbrauchen Gott, um Politik zu machen!

Warum? Ein der meistgestelltesten Fragen in dieser Woche. Warum hat Gott dies zugelassen?
Eine Antwort gibt es nicht. Jedes Mal nach solch grossen Schicksalsschlägen, wünsche ich mir, das ich eine Antwort hätte. Eine Antwort die alles erträglich macht.
Aber brauchen wir wirklich eine Antwort? Diese Antwort würde all das nicht beantworten, was unsere Trauer ausmacht: Menschen sind umgekommen; Beziehungen sind gewaltsam zerstört worden; Vertrauen ist weg. Gespräch, Gemeinsamkeit und Miteinanders sind vorbei. Für immer. An diese Stelle ist nun die Einsamkeit getreten, die Zweifel, die Ängste und die Hilflosigkeit. Diese Dinge nimmt keine Antwort weg. Die Frage muss heissen: Wer ist noch da?
Wer ist noch da in meiner Trauer, in meiner Angst? Gibt es jemanden, der mich hört, mir helfen kann?
Bilder mitten aus dem Leben: Am Donnerstag dieser Woche kamen 60 Menschen im Gemeindehaus zusammen, um zu beten.
Zu beten für die Opfer des Terrors. Zu beten für Frieden. Zu beten für die Politiker. Gebet ist keine Antwort auf das Warum?. Und es macht es auch nichts von dem ungeschehen, was passiert ist. Beten kann der, der weiss: Gott ist da. Er hört mich und er hilft mir. Er lässt mich nicht allein. Kein billiger Trost, sondern erfahrbare Realität - im Schmerz, in der Trauer, in vielen Frage, die wir alleine nicht auf die Reihe bekommen.
Gott ist kein Theoretiker. Er weis, was es mit Leid und Angst auf sich hat. Sein Sohn ist auf brutalste Weise am Kreuz gestorben. Gott musste dabei zusehen. Er weiss, wie es ist, wenn man einen engen Menschen verliert. Seinen Sohn.
Gott ist im Pentagon, im World Trade Center mitgestorben. Gott stirbt jeden Tag aufs Neue; in Israel, in Palästina, im Kosovo, in unseren Krankenhäusern, auf unseren Strassen.

Ich habe weiterhin Angst. Ich weiss nicht, was als nächstes passiert. Die Terroranschläge zeigen mir, das ich mein Leben letztlich nicht im Griff habe. Trotzdem habe ich für mich die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist.
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt wird leben, auch wenn er stirbt!
Ich habe im Gebet ein Ventil, meine Ängste meiner Sorgen abzugeben. Im Gebet teile ich meine Sorgen und Ängste mit Gott.

Bilder aus dem Leben
- mitten aus einer Wüste aus Beton werden noch Menschen lebend geborgen.
Bilder aus dem Leben
- Lazarus steigt aus seinem Grab.
Bilder aus dem Leben
- Menschen treffen sich zum Gottesdienst, um zu beten.
Bilder aus dem Leben
- die mir Mut machen.

Amen
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