Volkstrauertag in Drabenderhöhe: „Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens“

Am Ehrenmal auf dem Friedhof in Drabenderhöhe wurde der Volkstrauertag am 13. November 2022 mit einer Gedenkfeier begangen.

Es spielte das Blasorchester Siebenbürgen-Drabenderhöhe und es sang der Männergesangsverein Drabenderhöhe.

Die Löschgruppe Drabenderhöhe der Freiwilligen Feuerwehr nahm auch an der Feierstunde teil und legte den Kranz nieder.

Der Kranz am Ehrenmal. Fotos: Heidi Zell

Der Vorsitzende des Heimatvereins, Dominik Seitz, hielt folgende Rede:

Albert Schweitzer, ein Friedensnobelpreisträger, hat einmal gesagt: „Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens.“

Der Volkstrauertag ist ein Blick zurück, ein Blick in die Vergangenheit – ein Blick auf Soldatengräber. Er ist den Opfern der Kriege und der Gewaltherrschaften gewidmet.

Jedoch soll er auch in der Gegenwart zum Frieden mahnen. Und seit Ende des zweiten Weltkriegs war Krieg nie näher und die Mahnung nach Frieden so wichtig wie in diesen Tagen.

Wir alle haben uns aus diesem Grund hier am Kriegerdenkmal eingefunden. Ich freue mich sehr, dass Sie alle heute dabei sind.

Europa ist wieder erschüttert von Krieg, von Gewalt, von vielen Toten. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hält uns nun seit Februar Tag für Tag vor Augen, wie wichtig doch der Frieden in Europa – aber auch in der Welt ist.

Alleine nur im Jahr 2021 gab es 28 Kriege und Konflikte weltweit mit geschätzt mehr als 100000 Toten. Die Anzahl der Menschen, die vor Gewalt und Krieg flüchten mussten betrug ca. 82 Millionen – So viele Menschen alleine, wie in Deutschland leben.

Menschen leiden und sterben, Angehörige bleiben zurück.
Einige von ihnen haben nach ihrer Flucht vor Krieg und Gewaltherrschaft auch hier in Drabenderhöhe eine sichere Zuflucht gefunden. Sie haben Angehörige und Freunde verloren und müssen grausame Erlebnisse und Erfahrungen bewältigen.

Die Einbeziehung aller aktuellen Geschehnisse in unser Erinnern und das Gedenken daran mahnt uns an unser aller Aufgabe, dass wir aus den Lehren der älteren und jüngeren Geschichte täglich unsere eigenen Fähigkeiten zu Frieden und Versöhnung einbringen müssen.

Diese Kriegsgräberstätte ist eine Erinnerung an die Verstorbenen, aber vor allem eine Mahnung für den Frieden.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.

Für ein friedvolles und soziales Miteinander sind Achtung und Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder persönlichen Weltanschauungen entscheidend. Im Kleinen wie im Großen.

Und dies wollen wir für uns im Gedächtnis und im Herzen bewahren, wenn wir heute hier stehen und alle zusammen den Volkstrauertag begehen.

Diakonin Andrea Ruland und Heimatvereinsvorsitzender Dominik Seitz hielten Reden bei der Gedenkfeier auf dem Drabenderhöher Friedhof

Diakonin Andrea Ruland hielt folgende Rede:

Die Rettung

Ein Überlebender erzählt.

Er war sieben Jahre alt, als seine Familie realisierte, dass sie bald ihr Zuhause verlassen müsste – plötzlich und schnell. Jochanan wurde gesagt, er solle packen. So viel, wie in einen Schuhkarton passt. Nachmittage, ganze Abende verbrachte er ab jetzt damit, zu packen. Alle seine Schätze. Seine Bücher. Er leerte seine Taschen. Schubladen. Jochanan hatte schließlich gepackt.

Genauer gesagt, hatte er zwei Schuhkartons vollgepackt. In dem einen waren lauter nützlicher Dinge: Taschentuch, Unterhose, Taschenmesser, Kerzen, Streichhölzer. In dem anderen Karton waren die unnützen Sachen: Postkarten, Fotos, ein paar Steine; lauter Dinge mit Geschichte, voller Erinnerungen. Und dann kam der Tag. Jochanan kam aus der Schule. In seiner Straße brannten schon einige Häuser. „Beeil Dich! Laufe so schnell wie Du kannst!“, rief sein Vater.

Und er rannte in sein Zimmer und griff nach einem Schuhkarton. Und er wusste, dass er gerade in diesem Moment seine Kindheit zurück ließ. Die Tränen liefen.

Als er und seine Familie in Sicherheit waren und er abends alleine für sich, in einer kleinen Ecke, machte er seinen Karton auf.

Zu seiner Überraschung war es doch der Karton mit den unnützen Dingen. Und er freute sich wie noch nie vorher in seinem Leben.

Ich lasse mich berühren vom Abschiednehmen. Wer fliehen muss, lässt so viel zurück.

Ich überlege, was ich in einen Schuhkarton packen würde. Und in meinem Herzen verbinde ich mich mit den Flüchtenden dieser Welt.

Jedes Mal wenn ich diesen Text lese, bekomme ich Gänsehaut. Das von dem wir alle wissen, bekommt geeint mit dieser kurzen Erzählung, gerade an Tagen wie diesem eine ganz neue Bedeutung.

Dieser heutige Tag ist geprägt von Gedenken, an das Zurückdenken – die Vergangenheit wird heute ganz Groß. Das ist wichtig und richtig zu gleich, und doch möchte ich mit Euch allen lieber nach vorne schauen:

„Selig sind die, die Frieden stiften“, das hat Jesus Christus gesagt. Das was zu seinen Lebzeiten schon galt, das gilt auch heute noch in einer Welt, in der immer wieder Gewalt regiert und das Leid von Menschen einen großen Raum einnimmt.

„Selig sind die, die Frieden stiften.“ Mit Waffen kann man niemals wahren und glaubhaften Frieden stiften – das denke ich. Echter Frieden kann aus dem Kleinsten heraus erwachsen und Großes entstehen lassen, wenn wir es zu lassen.

Wie passend sind da die Worte von Dietrich Bonhoeffer, der die dunkle Zeit des Krieges so sehr am eigenen Leibe spüren musste: „Frieden muss gewagt werden.“ Wer Frieden haben will, wer im Frieden auf dieser Welt leben will, der muss eben auch Fantasie für den Frieden wagen und eigene Fantasien entwickeln. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg – um wahren Frieden erleben zu dürfen, braucht es kreative Köpfe und vor allem aber mutige Herzen. Und da stellt sich die Frage, ob wir selber auch entsprechend fantasievoll genug sind, ob wir mutig genug sind – für ein gerechtes und sicheres Zusammenleben verschiedenster Kulturen und verschiedener sozialen Gruppen?

Denn wir wissen längst: Armut, Benachteiligung, Ausgrenzung sind immer wieder die Ursache für Gewalttaten, Terror, Krieg und Vertreibung. Unsere Globalisierung macht das alles nicht leichter – im Gegenteil. Trotz aller Krisen, Nöte und Sorgen, leben wir in einem reichen, in einem scheinbar sicheren Land. Und auch deshalb können wir uns nicht vor unserer Verantwortung drücken. Wir sind und bleiben mitverantwortlich: nicht nur für uns selber, unsere Kinder und Enkelkinder, auch für das Leben der Menschen weltweit.

Der innere Frieden, der einen Platz in jedem von uns hat und der äußere Frieden gehören untrennbar zusammen. Frieden kann es nicht geben ohne Recht und Gerechtigkeit für alle Menschen. Frieden gibt es nicht, wenn nicht alle Menschen an den Schätzen dieser Welt teilhaben dürfen: an Brot und Bildung, an Liebe und Arbeit. Und Teihabe gibt es wiederum nicht ohne Teilgabe: ohne den Willen, zu teilen, was uns auf dieser Welt gegeben ist.

„Frieden muss gewagt werden!“ Ja, da braucht es den Mut und die Fantasie von jedem von uns, dass wir Fremde in unser Leben integrieren; dass wir Religionen und Kulturen akzeptieren und respektieren können. Die Welt ist ein Dorf geworden – in dem wir miteinander den Frieden wagen müssen, damit wir unser Zuhause behalten können. Wir brauchen Offenheit und Neugierde, Lust auf Vielfalt und das Grundvertrauen darauf, dass Fremdes nicht grundsätzlich etwas Feindliches ist.

Wir schulden den Opfern der unzähligen Kriegen dieser Welt unseren Mut, unsere Fantasie zum Frieden. Nur so kann Hoffnung für das Morgen wachsen – in uns selber, in dieser Welt.

Ich denke an den Jungen Jochanan aus der Geschichte.

Was würdest Du in deinen Schuhkarton packen und mitnehmen wollen, auf eine Reise in das Unbekannte? Was möchtest Du dabei haben, wenn Du dein Zuhause verlassen müsstest?

Vielleicht ist ja Platz in deinem persönlichen Schuhkarton für eine große Portion Mut und viel Fantasie. Amen.

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